Ausstellung »Stretching Materialities«
Versteckte Aktivitäten in Objekten und Räumen im Tieranatomischen Theater
Materie ist tot? Gegenstände sind leblos? Falsch gedacht! In der Ausstellung »Stretching Materialities« konnte man die Lebendigkeit und Aktivität der Materie auf eine völlig neue Art und Weise erleben. Vom 16. September 2021 bis zum 4. März 2022 wurde das Tieranatomische Theater in Berlin zum interaktiven Spielplatz: Eine echte Wolke schwebte in der Mitte des Raumes, reagierte auf Körperwärme und Bewegung und schwebte wie ein seltsames Wesen um die Besucher. Steine zeigten ihre Verwitterung als dynamischen Prozess der Veränderung. Große Weidenstrukturen, die sorgfältig von Menschen und Computern gemeinsam geschaffen wurden, waren mit dem bewohnbaren Raum verwoben. Der koreanische ›Durumagi‹, ein Seidenmantel, der die digitale und die physische Welt miteinander verbindet, vibrierte auf der Haut der Besucher:innen, während sie mit den verschiedenen Materialien interagierten. Wenn die Besucher:innen mit VR-Headsets durch den Raum gingen, konnten sie einen gläsernen Aufzug betreten und direkt in die präsentierten Materialien hinabfahren – in den CT-Scan eines Steins oder hoch hinauf in die Wolken, um mit Luftmolekülen zu interagieren.
Mit dem Wissen aus der Forschung des Exzellenzclusters »Matters of Activity« wurde ein praktischer Laborraum geschaffen, der unerwartete Einblicke in das Denken über Materie ermöglichte und die Aktivität der Welt um uns herum greifbar machte. Die Forschenden und Kurator:innen verstanden ihre Rolle als Betreuende und Interpret:innen der verschiedenen Lebensformen, die den Ausstellungsraum bevölkerten. Durch die Verbindung von Interaktionsdesign, Architektur, Kunstgeschichte, Informatik und Anthropologie überschritt diese Ausstellung die Grenzen zwischen den Disziplinen, um in sinnliche Resonanz mit der lebendigen materiellen Welt zu treten.
»Stretching Materialities« war eine offene experimentelle Plattform, die Theorie und Praxis miteinander verband. Stellen Sie sich vor, Sie könnten Ihre Sinne ausdehnen, um die materielle Welt jenseits der menschlichen sensorischen Fähigkeiten zu fühlen, zu sehen, zu hören und zu berühren. Diese Erfahrung könnte die Art und Weise verändern, wie Sie angesichts sozialer, politischer und ökologischer Dringlichkeiten mit Ihrer Umwelt umgehen.
Diese Website ist ein Online-Repository, das die Ausstellung dokumentieren und aktuelle und künftige Aktivitäten sammeln soll, die die Leitfragen der Ausstellung weiter vorantreiben.
Kuratiert wurde die Ausstellung von multidisziplinären Wissenschaftler:innen und Designer:innen des Projekts Object Space Agency.
In Matters of Activity beschäftigen sich Forscher aus zahlreichen Disziplinen mit der Frage nach dem, was Material ist, wie wir Material betrachten, mit ihm umgehen und nicht zuletzt, wie wir als menschliche Akteure mit dem Akteur Material in einen Dialog treten können. Das Modul »Stretching into Virtuality« der Ausstellung Stretching Materialities versucht, diese Fragen in einen virtuellen Erlebnisraum zu übersetzen, den es so noch nie gegeben hat. Virtualität wird dabei als ein Material ganz eigener Art verstanden, geknüpft aus den Strukturen des Digitalen, übersetzt in sinnliche Wahrnehmbarkeit und gebaut aus verbundenen Ebenen von Hard- und Software. Dabei ist das Virtuelle weniger als ein Addendum gedacht, wie dies so häufig in musealen Kontexten geschieht, sondern als integraler Layer der gesamten Ausstellung, der sich über andere Exponate legt, an ihnen entlang hangelt und so Berührungspunkte, Erweiterungen, Perspektiven und Schnittstellen schafft.
Das Hauptinteresse von »Object Space Agency« liegt in einem integrativen Ansatz, produzierte Wissensformen der Forschungsgruppen des Clusters »Matters of Activity. Image Space Material« begehbar werden zu lassen. Dieses Vorgehen wird durch Methoden eines ausstellenden Forschens, Zugängen zu materiellen Aktivitäten und impliziten stofflich-verwobenen Techniken gestützt.
Unter intensiver Leitung unseres Kurator:innenkollektivs, das dreizehn Monate lang die Verantwortung für alle Ausstellungsprozesse trug, legte Designforschung den Fokus auf die Materialitäten atmosphärischer Prozesse als hochgradig immersive, umgebende Medien. Durch die Linse dieser Medien-Materialität sollen situierte Praktiken unsere Forschung innerhalb unseres Kurator:innenkollektivs die zukünftigen Ausstellungsprojekte des Clusters kritisch auf Erkenntnisgewinn erfragen.
»Virtual Sensing Knife and Haptic Hanbok« lädt die Besucher:innen zu einer immersiven sensorischen Begegnung mit frei schwebenden Neuronen und Hirngeweben ›auf der Skala nach unten‹ ein. Diese Erfahrung wurde in Zusammenarbeit als eine der »Etagen« für den Hauptaufzug der Ausstellung gestaltet. Inspiriert von der Arbeit von Karen Barad, Stefan Helmreich, Lee Kiyeon und Chris Salter haben wir einen Klangkünstler und Forscher, einen Interaktionsdesigner, einen kreativen Programmierer und einen Bekleidungsingenieur an Bord geholt und uns auf ein originelles Forschungsprojekt eingelassen. Das multimodale Anthropologieprojekt entfaltete sich als ein Entstehungsprozess, der in verschiedenen visuellen und audiovisuellen Formen dokumentiert und gebloggt wurde. Zwischen uns entfachten vielfältige Gespräche über die Wahrnehmung von Mensch und Maschine, weiche haptische Wearables, Kraftfelder, Lebensenergie-Meridiane und den allgemeinen Prozess des Auslotens von Materie, um eine Beziehung zum ›Mehr-als-Menschlichen‹ herzustellen. Wir stellten uns wieederholt dieselben Schlüsselfragen: Welche Art von erfinderischem und iterativem ›Ausloten‹ brauchen die potenziellen Interaktionen zwischen Physik, Design und Neurochirurgie, um sich zu manifestieren? Können wir uns technische Aktivitäten jenseits der westlichen Perspektive im Kontext der modernen Wissenschaft vorstellen?
Im Zentrum von »Stretching Time« steht die Annahme, dass in Sammlungsobjekten unterschiedliche Konzepte von Aktivität und Passivität von Materialien – Fragen nach dem Verhältnis von Zeit und Materie – verkörpert sind. Um diese kennenzulernen und zu reflektieren, wurden in verschiedenen Humboldt-Sammlungen Fallstudien durchgeführt. Dabei erwies sich die Geologisch-Geomorphologische Sammlung als besonders ergiebig. Die Auswahl der Exponate in der Vitrine und die sich verändernden und explorativen Elemente der Ausstellung sind das Ergebnis dieser Forschung und beziehen die Sinne der Besucher:innen aktiv ein.
Wie kann eine Ausstellung (ein Ausstellungsraum) zu Forschung im Habitat werden? In einem einzigartigen Gebäude aus dem Jahr 1790, das mit Symbolen für Verbindungen und Empathie zwischen Arten ornamentiert ist, behandeln wir den Ausstellungsraum als Ausstellungsobjekt - zwischen Leere, Materie und Interpretation. Der Raum kann spüren und selbst Spuren hinterlassen - er ist etwas. Damit eine Ausstellung zu einer Forschungsmethode für eine neue Kultur des Materialen wird, wird das Bewusstsein der Besucher:innen zum aktiven Material selbst, ähnlich dem »emanzipierten Zuschauer« von J. Rancière. In Textilien ist die Leere, der Raum zwischen den Filamenten, genauso wesentlich für das Ganze wie das Material, das als fest erscheint - es ist analog und virtuell. Über den geometrischen Raum hinaus nutzen Künstler:innen, Architekt:innenen und Handwerker:innen historisch gesehen textile Techniken, um den anderen Raum zu entfalten. Während der Ausstellung haben wir Techniken und Prototypen im Rahmen der interdisziplinären Forschung in Textiltechniken auf architektonischem Maßstab für zukünftige Habitate weiterentwickelt, die gleichzeitig physisch und in VR zugänglich sind. Wie Flechten auf einem Felsen haben wir sie verwendet, um die räumlichen und metabolischen Verhandlungen zwischen Körpern, Objekten und Räumen nachzuverfolgen.
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Ausstellungseröffnung
16. September 2021
Die Ausstellung eröffnete am Donnerstag, den 16. September 2021 um 18 Uhr mit einem Empfang des Kurator:innenteams von Object Space Agency vor dem Tieranatomischen Theater. Im Anschluss konnte die Ausstellung bis 20:30 Uhr in verschiedenen Zeitfenstern erkundet werden.
Der Abend wurde begleitet von Klangperformances Oliver Schmids auf der Installation »Wohl-Temperiertes Hygrometer« von Anna Kubelík.
Begrüßungsansprachen von:
Prof. Dr. Wolfgang Schäffner (Sprecher des Exzellenzclusters »Matters of Activity«)
Prof. Dr. Sharon Macdonald (Direktorin des Hermann von Helmholtz-Zentrums für Kulturtechnik)
Felix Sattler (Kurator des Tieranatomischen Theaters)
Prof. Dr. Claudia Blümle und Clemens Winkler (Schwerpunktleiter von Object Space Agency, gemeinsam mit dem Projektteam und Gästen)
Berlin Science Week 2021
Wed, 3.11.2021, 4-6 pm
Ausstellungstour Stretching Materialities
Führung und Livepräsentationen im Tieranatomischen Theater
Fr, 5.11.2021, 4-6 pm
Exhibition Tour Stretching Materialities
Guided tour and exhibition and live presentations in the Tieranatomisches Theater
Mo, 8.11.2021, 4-6 pm
Exhibition Tour Stretching Materialities
Guided tour and exhibition and live presentations in the Tieranatomisches Theater
Tours & Performances
- Freitag, 25.02.2022, 15–16 Uhr Sound-Performance »Scattered Diffusion« von Mascha Kobylenko (Anmeldung bitte über diesen Link)
- Freitag, 25.02.2022, 16 und 18 Uhr Öffentliche Führung
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Freitag, 25.02.2022, 17.30-18.00 Uhr »Singende Materie« von Leila Albayaty. Während sie den Raum der Ausstellung »Stretching Materialities« mit ihrer Stimme untersucht, will die Künstlerin Leila Albayaty nicht wie ein Mensch aussehen. Ohne mit dem Körper zu erscheinen, wird ihre Stimme die verborgenen Aktivitäten zum Klingen bringen lassen. Indem sie alles in Emotionen verwandelt, erkundet sie viele Schichten der Identität und eine mehr als menschliche Vielstimmigkeit
- Montag, 28.02.2022, 14-15 Uhr Sound-Performance »Scattered Diffusion« von Mascha Kobylenko
- Montag, 28.02.2022, 16–18 Uhr »About clouds, robots and the sea – thoughts on the aesthetics of metabolic formations, biodiversity and new ecologies in art and design« - Künstlergespräch mit Clemens Winkler, Babette Werner und Anne Duk Hee Jordan
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Dienstag, 01.03.2022, 18 Uhr Liederabend mit Philipp Reuver
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Mittwoch, 02.03.2022, 18 Uhr Liederabend mit Philipp Reuver
- Donnerstag, 03.03.2022, 17-19 Uhr »Über Mikroben, Steine und Umlaufbahnen - Überlegungen zu haptischem Wissen, zirkulierenden Narrativen und den Übergängen zwischen Organischem und Anorganischem«, Performance, Gespräch, Lesung
- Freitag, 04.03.2022, Finissage
14, 15 und 16 Uhr, Rotunde: Zeremonielle Performance »dancing CaCO3« von Kaaren Beckhof
18.00 Uhr, Amphitheater: Jean-Daniel Berclaz, le Musée du Point de Vue, »L'Attente« (Die Erwartung)
From my point of view, the question of the matter is a spatial observation of the thought.
This is why the auditorium contains the sounds of pencils taking notes of what they listen to on the paper.
The professor awaits for the auditorium to fill up before beginning his orations
»Le Musée du Point de Vue« is the ongoing project of the artist Jean Daniel Berclaz and examines the knowledge that originates in exhibition going and the metabolic processes between the observed and the voyeur, the story-figure and the author, the actor the spectator.
Tieranatomisches Theater
Campus Nord, Haus 3
Philippstraße 13
10115 Berlin