Narration als materielle Praxis?
Workshop mit MoA-Gastwissenschaftlerin Christiane Arndt und Karin Krauthausen
Die literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Theorien des New Materialism (u.a. K. Barad, D. Haraway, J. Bennett) rückt die materiellen Dinge und Praktiken in literarischen Texten und den literarischen Text als Ding und materielle Praxis ins Zentrum der analytischen Aufmerksamkeit. In der Folge des material turn fragt diese Herangehensweise damit auch danach, ob und wie Literatur den anthropozentrischen Blick herausfordern oder eventuell überwinden kann. Integriert werden zudem weitere Infragestellungen, die mit dem neuen Fokus auf Materie und materielle Praktiken verbunden sind: So vor allem die Trennung in Natur und Kultur, die Unterscheidung der Geschlechter und zwischen Spezies.
Storytelling – und damit auch Narrativität – ist ein grundlegender Aspekt in den Untersuchungen des New Materialism, und dies als Praxis für Erkenntnis und konkrete Interventionen. Donna Haraway formuliert in diesem Sinne: »It matters what stories we tell to tell other stories with; it matters what concepts we use to think other concepts with.« Auch für Karen Barads diffractive theory haben diskursive Praktiken ein kausales Verhältnis zu materialen Phänomenen. Und Anna Tsing hebt hervor, dass storytelling ein gezieltes Vorgehen ist (das Verständnis hervorbringt): »To listen to and tell a rush of stories is a method.« Für Tim Ingold schließlich gilt, dass die Praxis des Erzählens den Menschen in die umgebende Welt ›einwachsen‹ lässt, also eine physiologische und diesem Sinne materiale Verbindung stiftet: »It is along paths, too, that people grow into a knowledge of the world around them, and describe this world in the stories they tell.«
Der Workshop geht von diesen philosophischen und anthropologischen Auffassungen von Erzählung und Erzählen als materialer Praxis aus, und wir wollen sie aus literaturwissenschaftlicher Sicht diskutieren und weiterdenken. Die Basis hierfür bildet die Lektüre und Diskussion folgender Texte der genannten Theoretiker sowie zusätzlich als literarisches Beispiel Kim de l’Horizons Blutbuch.
- Tim Ingold, »Materials against Materiality«, Archaeological Dialogues 14 (1) 2007, 1–16. doi:10.1017/S1380203807002127. https://www.cambridge.org/core/journals/archaeological-dialogues/article/abs/materials-against-materiality/018549D1821007A427BA0324E1FF03C5
- Donna Haraway, »It Matters What Stories Tell Stories; It Matters Whose Stories Tell Stories«, a/b: Auto/Biography Studies, 34 (3) 2019, 565-575. doi:10.1080/08989575.2019.1664163. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/08989575.2019.1664163
- Kim de l'Horizon, Blutbuch, Köln 2022
Programm
10.15-12 Uhr Diskussion der Texte
12-13.30 Uhr Pause
13.30-15 Uhr Projekte/Ideen der Teilnehmer:innen
Anmeldung
Der Workshop wird von MoA-Gastwissenschaftlerin Christiane Arndt und Karin Krauthausen organisiert. Jeder, der mitdiskutieren möchte, ist willkommen. Auch für weitere literarische Beispiele und - wenn gewünscht - für Präsentationen ist Platz. Der Workshop wird voraussichtlich in deutscher Sprache abgehalten, aber Beiträge sind auch in anderen Sprachen möglich. Um Anmeldung per Mail an arndtc@queensu.ca wird gebeten.
Mögliche Fragen für die Diskussion
Wie sieht ein literaturwissenschaftlicher Fokus auf materiellen Praktiken aus? Geben Texte, die sich mit materiellen Praktiken (zum Beispiel textile Handarbeiten oder Gartenarbeit) auseinandersetzen auch eine Textpraxis vor, also eine Schreib- oder Lektürepraxis oder ein anderes Textverständnis? Gibt es Beispiele für solche Textpraktiken? Sind sie geeignet, die literaturwissenschaftliche Auffassung von Narration in Richtung materieller Praxis zu erweitern?
Gibt es Beispiele für Texte und sprachliche Formen, die als Praktiken funktionieren wollen? (Etwa Rezepte oder Handlungsanweisungen?) In welchem Verhältnis stehen diese zu erzählender Literatur? Haben literarische Veröffentlichungen in neuen Medien (z.B. Twitter-Literatur oder Blogs) Merkmale, die sich als materielle Narrativität fassen lassen? Bräuchten wir für eine solche Herangehensweise, die Narration als materielle Praxis untersuchen will, andere literaturwissenschaftliche Begriffe und Kategorien?
Und schließlich: Wie könnte man die Prämisse von der Narration als materieller Praxis in die Diskussion über literarische Texte und damit auch in die Lehre einbringen?
Seminarraum 2.04/2.05
Humboldt-Universität zu Berlin
Exzellenzcluster »Matters of Activity«
Sophienstraße 22a
10178 Berlin