Das Projekt »Object Space Agency« des Exzellenzclusters »Matters of Activity« widmet sich der Untersuchung von Beziehungen aktiver Materialien im Bereich von Objekten, Personen und architektonischen Strukturen. Materielle Objekte scheinen zeitlich und räumlich zugleich stabil und veränderlich zu sein. Dabei ist die der Materie innewohnende Aktivität meist nicht unmittelbar sichtbar – sie ist im Inneren verborgen, wird durch Messungen aufgedeckt oder zeigt sich erst in der Interpretation. Aktivität manifestiert sich gleichermaßen in strukturellen wie auch in kulturellen und semiotischen Dimensionen. Indem wir den Fokus weiter von den Objekten auf die Materialität der räumlichen Produktion und die räumliche Aktivität der Materie ausdehnen, können wir unsere Wahrnehmung und unser Verständnis unserer gebauten, gewachsenen und erhaltenen (erweiterten) Umwelt neu sensibilisieren. Ausstellungen und Sammlungen stehen heute vor der Herausforderung, sich nicht nur mit den immobilisierten Objekten, sondern gleichermaßen mit den verschiedenen Dimensionen ihrer Aktivität auseinanderzusetzen.
Wie können sich aus materiellen, biologischen, menschlichen und ökologischen Aktivitäten ästhetisch neue Erfahrungen entfalten? Was bedeutet es eigentlich, materielle Aktivität in ihrer Dynamik zu erfassen, zu archivieren und freizulegen, statt sie zu unterdrücken? Und mit welchen Techniken, Vermittlungsprinzipien und räumlichen Situationen lassen sich diese, meist unsichtbaren Prozesse nachvollziehbar machen? Welchen Einfluss hat die interne Aktivität von Materialien auf die Art und Weise des Umgangs, des Ausstellens oder auf die wissenschaftlichen Sammlungen in Museen?
Ziel ist es, neue Ausstellungsformate zu entwickeln, die das Geflecht der Exponate und der Besucherinnen und Besucher als Akteure und Akteurinnen durch die Aktivität von Materialien sichtbar machen. In diesem Sinne wandeln sich Besucher*innen von externen Betrachter*innen zu Akteuren*innen innerhalb der Ausstellung. Diese Ausstellungsformate sollten dann im Humboldt-Labor und im Tieranatomischen Theater iterativ erprobt und reflektiert werden.
Es geht nicht nur darum, neue Ausstellungsformate zu erdenken und zu erforschen, sondern auch darum, neu zu definieren, was Ausstellungen sind, was sie anstreben, was sie beinhalten und was sie zu leisten vermögen. In diesem Prozess wird der Ausstellungsraum zu einem Raum für Forschungspraktiken, in dem Fortschritt stattfinden kann, der Besucher*innen und Forscher*innen, Objekte und Aktivitäten in einen integrativen Kontext bringt. Auf diese Weise können Ausstellungen eher zu einer akademischen Forschungsmethodik werden als zur Präsentation von Ergebnissen.
Menschenmaß neu überdenken
Wir sind unsere Umwelt. Um diese Untrennbarkeit zu begreifen, muss man sich andere als menschliche Erfahrungen vorstellen. Die Schaffung eines neuen Habitats bzw. Lebensraums mit aktiven Architekturen ist eine Verhandlung zwischen Konservierung, Regeneration und Innovation. Wenn wir die ererbte Stadt, die Kleidung, die gebaute und gewebte Umwelt, die Atmosphäre und die Technosphäre als einen multiskalaren, homöostatischen Prozess der Erhaltung betrachten, müssen andere Ökologien einbezogen werden, um die Erhaltung zu vervollständigen. Für die Materie als eine Verdichtung der Reaktionsfähigkeit sind für die Innovation neue Prozessperspektiven erforderlich.
Welche Perspektiven nehmen nicht-menschliche Akteure ein und wie könnte eine Ausstellung aussehen, die von Bakterien, Pilzen oder Partikeln dominiert wird? Was passiert, wenn die Beziehung zwischen dem Ausstellungsraum und den Besucher*innen selbst zum Objekt wird und seine normalerweise unsichtbaren Aspekte wie Strahlung, Felder, Bakterien und Strömungen in den Blickpunkt rücken? Umwelt und Objekte, Museumsraum und Kuration werfen so einen Blick auf die Bedingungen ihrer eigenen Entstehung und experimentieren mit neuen materiellen Strukturen und Konfigurationen.
The undesigned consequences – the rise in acidic Polar stratospheric clouds (PSCs). Copyright: Natalija Miodragović
Metabolische Formationen
Der Ausstellungsraum kann auch als Raum für Stoffwechselprozesse zur Erzeugung von Substanzen und Formen verstanden werden. Als klecksartiger Organismus macht es ein relationales Aktivitäts- und Raumkonzept notwendig, nicht nur menschliche und objektbezogene Perspektiven, sondern auch deren energetische und materielle Durchdringungen experimentell zu erfahren. Dadurch rücken Umgebungen, wie z.B. vulkanische Böden, als für ein Menschenmaß wahrnehmbare Räume für Stoffwechsel, in ein engeres Zusammenspiel mit dem Ausstellungsraum. Stoffwechselformationen wie Sedimente oder Spuren stehen in ständiger gewollter und ungewollter Wechselwirkung mit Akteur*innen und bestimmen gleichzeitig die energetischen und materiellen Modi des Ausstellungsraumes. Wie können wir diese Modi für kritische Auseinandersetzungen mit Zukünften greifbar machen, in dem wir als Gestalter an Systemen agieren?
Mit Gästen im transdisziplinären Austausch wird der Ausstellungsraum zu einer neuen offenen Umgebung für »explorative Experimente« an metabolischen Formationen, wie es in den Naturwissenschaften bekannt ist, in dem sensorische und theoretische Konzepte erprobt und etabliert werden.
Entering Nutritious Clouds at Phlegraean Fields, 2017. Seminar »Terranautic Instruments« with Roman Kirschner. Copyright: Clemens Winkler/ Roman Kirschner
Materielle Epistemologie
Ein Museum ist nicht nur ein Ort der Objekte, sondern auch der Praktiken. In der Arbeit mit den Objekten – Konservierung, Restaurierung, Präparierung, Lagerung – finden umfangreiche Materialexperimente und Forschungen statt. Das Material wird mit dem Prozesshaften verbunden und kann als Energiepotential zur Wissensbildung – oder als Schwelle des Denkens – verstanden werden. Das Hantieren mit verschiedenen Materialien ist Teil einer materiellen Epistemologie des Museums. Wie wird mit materieller Aktivität im Museum umgegangen, und welche Ansätze gibt es, diese nicht nur aufzuhalten oder zu verlangsamen, sondern sie in den Mittelpunkt des Museums zu stellen? Besonders deutlich wird dies am Beispiel organischer, ephemerer und alltäglicher Materialien: Biologische Präparate, Lebensmittel, Wachs, Plastik, Schaumstoff oder Staub im Museum zeigen dies. Ausgewählte Fallbeispiele aus Sammlungen aus den Bereichen Anatomie, zeitgenössische Kunst, materielle Kultur und Naturgeschichte (in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Bahnhof, dem Medizinhistorischen Museum der Charité, dem Museum für Naturkunde) werden untersucht. Konservierungs- und Lagerungstechnologien, Ausstellungsmethodologien und die Generierung von Wissen durch Praktiken werden untersucht und systematisiert. Materialien und Praktiken werden einander gegenübergestellt und in ihrer Vielfalt kontrastiert, so dass ein neuer Materialbegriff im Museumsraum definiert werden kann.
Museumslabor im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité (mit freundlicher Genehmigung von Navena Widulin). Copyright. Navena Widulin
Immersiver Museumsraum
Betrachtet man das Virtuelle im Realen, so sind unsere Museumsräume bereits eine Verschmelzung des Physischen mit dem Virtuellen. Ein näherer Blick auf die virtuellen Möglichkeiten kann dabei Aktivitäten zum Vorschein bringen, die sonst unsichtbar sind. Virtual Reality als fundamental neues Medium ist dabei besonders für die interaktive Erforschung dieser Aktivitäten geeignet. Die Idee besteht darin, den Ausstellungsraum selbst digital zu modellieren und mit Head Mounted Displays in der virtuellen Realität erfahrbar zu machen. Durch die Verbindung der virtuellen Darstellung mit der physischen Architektur wird der virtuelle Raum greifbar – virtuelle Säulen beispielsweise werden fühlbar und beginnen zu sprechen, wenn man sich ihnen nähert. Objekte können gegriffen werden und erscheinen in einer vergrößerten Ansicht in der Mitte des Raumes, so dass ihre Aktivität sichtbar wird. Dies kann ein Gehirn mit der Visualisierung von Faserbahnen sein, ein Museumsobjekt in verschiedenen Stadien der Materialentwicklung oder sogar ein Teil der TA T-Architektur selbst. So werden neue Nachbarschaften geschaffen, andere Beziehungen manifestieren sich und erzeugen ungewöhnliche und unmögliche Einblicke.
Eine junge XR-Enthusiastin im Museum – mit einer VR-Headset-Modifikation mit Gestenerkennung und Stereokamera. Copyright: Christian Stein
Virtuelle Materialien
Materie ist immer als eine grundlegende physikalische Einheit erschienen, in der Objekte zerlegt werden, aus denen Artefakte entstehen. Wenn Materie in erster Linie irgendeine Homogenität der Struktur bedeutet, ist sie nicht notwendigerweise per se physisch. Der Blick auf virtuelle Materialien eröffnet einen Materialbegriff, der die Grenzen des Physischen transzendieren und täuschen kann. Virtuelle Materialien können Eigenschaften haben, die zunächst unmöglich erscheinen – und sie können von den Eigenschaften zur Struktur zurück gedacht werden und nicht umgekehrt. In diesem Teilprojekt werden virtuelle Materialien untersucht und erfahrbar gemacht.
Aktivieren des Dritten Raums
In den letzten Jahren haben die Museen begonnen, neue Wege in der Auseinandersetzung mit ihren Sammlungen zu gehen. Während menschliche Akteure dabei auf vielfältige Weise aktiv geworden sind, sind die Dinge selbst in den meisten Fällen unbelebt und untätig geblieben, dem Paradigma der Konservierung verpflichtet. Das Projekt wird gemeinsam von Mitgliedern der Forschungsbereiche Weaving und Object Space Agency durchgeführt. Es zielt darauf ab, die komplexen räumlichen, natur-kulturellen Wechselbeziehungen zwischen Praktizierenden von Kulturtechniken, Wissen und Design in Burkina Faso und Deutschland zu untersuchen und darzustellen. Ziel ist es, traditionelle Museumstypen wie das Ethnographische, Naturhistorische, Kunstgewerbe- und Community-Museum zu hinterfragen und zu ›verlernen‹ und einen neuen, hybriden Typus des »Dritten Raumes« (Bhabha) für die Produktion und Darstellung von belebten Dingen und Wissen zu extrapolieren.




























- Aktivität und Ausstellung Veranstaltung 28.1.2020
Busch, C., Kassung, C., Sieck, J. ed. 2019. Kultur und Informatik - Virtual History and Augmented Present. Glückstadt: VWH.
Samuel, N. Passivity Matters! Transience and Conversation Practices. Examples from the 18th century until today. Talk at Annual Conference of the Cluster »Matters of Activity« 2020, 11 November 2020. https://www.virtualspace.matters-of-activity.de/annualconference/?id=9
Schäffner, W. Material Energy Information: Towards an Analog Code . Talk at the Annual Conference of the Cluster »Matters of Activity« 2020, 11 November 2020. https://www.virtualspace.matters-of-activity.de/annualconference/?id=9
Schäffner, W. Resetear CTS en el siglo XXI. Talk at Foro Ciencia, Tecnología y Sociedad, Universidad de los Andes, Bogotá. 14 February 2020.
Le Calvé, M., Cubasch, A. J., Heitger, A. Shelf Life. Ferment-Activity and Nurturing Materials. Workshop. ExC MOA. 10 December 2020. https://www.matters-of-activity.de/en/activities/2915/shelf-life-ferment-activity-and-nurturing-materials
Fratzl, P., Schäffner, W. et al. Behavioral Matter: Composer avec le vivant. Workshop. Centre Pompidou, Paris. In cooperation with Ensadlab (École nationale supérieure des Arts Décoratifs, Paris) and the Cluster of Excellence »Matters of Activity«. 23 March 2019. https://fonds-perspektive.de/fr/behavioralmatter/