Stretching Practices
Clemens Winkler
Das Hauptinteresse von »Object Space Agency« liegt in einem integrativen Ansatz, produzierte Wissensformen der Forschungsgruppen des Clusters »Matters of Activity. Image Space Material« begehbar werden zu lassen. Dieses Vorgehen wird durch Methoden eines ausstellenden Forschens, Zugängen zu materiellen Aktivitäten und impliziten stofflich-verwobenen Techniken gestützt.
Unter intensiver Leitung unseres Kurator:innenkollektivs, das dreizehn Monate lang die Verantwortung für alle Ausstellungsprozesse trug, legte Designforschung den Fokus auf die Materialitäten atmosphärischer Prozesse als hochgradig immersive, umgebende Medien. Durch die Linse dieser Medien-Materialität sollen situierte Praktiken unsere Forschung innerhalb unseres Kurator:innenkollektivs die zukünftigen Ausstellungsprojekte des Clusters kritisch auf Erkenntnisgewinn erfragen.
Gruppenaspekt: Hauptverantwortung in Ausstellungsumsetzung von »Stretching Materialities. Hidden Activities in Objects and Spaces«
Die Verflechtung von Ausstellen und Forschen als Praxisformen in der Ausstellung brachte ein sinnliches Potenzial von Wissen und Öffentlichkeit in situ hervor. Hier werden Praktiken auf den Ebenen des Sinnlichen, Zeitlichen, Räumlichen und Virtuellen/Symbolischen untersucht, wie die Verortung von Steinen im Virtuellen, gewebte Raumstrukturen in trockenem Klima, Telepräsenz in feuchten Wolken auf unserem VR-Aufzug, die neue sensorische Modi eröffnet.
Diese Praktiken, einschließlich des Erlebens, Kartierens, Fabrizierens und Fabulierens, lassen sich als atmosphärische Partizipation zusammenfassen.
Hier werden aktuelle Herausforderungen, wie eine sogenannte Slow Violence, die Ausstellung durch fortlaufende Messungen Agentschaften des Umgebens durch maschinelle Prozesse erweitert, die nach einem neuen Bewusstsein für formlose Abgase und Rückstände streben.
Als Leiter unserer Forschungsgruppe in einem kollektiven kuratorischen Prozess war es für uns eine Herausforderung, während der dreizehnmonatigen Vorbereitungszeit bis zur Fertigstellung und zum Abbau den Fokus, das Vertrauen in viele unvorhersehbare Ebenen zu bewahren. Was wir jedoch täglich erlebten, als wir unser professionelles Fachwissen in Frage gestellt sahen, erwies sich perspektivisch als fruchtbar. Für mich ist das Denken mit Luft, Atem, Atmen mit allen inneren und äußeren Begleitern - mehr Fragen, was das bedeutet und erfordert, was Praktiken wie Reparatur, Heilung und Pflege aushalten können und was nicht. Welche Medien und Substanzen man als Einstimmungen, Gefühle, Affinitäten oder Substanzen empfinden kann - die uns Verwandtschaft, Solidarität, Verschwörung, Kollektivität denken lassen - ist von Bedeutung, wie Praktiken in der Zukunft aussehen und was als Praktiken in prekären Zukunftszeiten gelten könnte.
Der Ausblick innerhalb unserer Ausstellung als Forschungsprozess der Kollektivität übertrug das individuelle Erleben, Herstellen und Sammeln in Dimensionen der Gesamtvorstellungen in Zeit, Raum, dem Virtuellen und den Sinnen. Wir begaben uns in einen performativen Tanz mit vorgefundenen nicht-menschlichen Akteuren und materiellen Aktivitäten, die unsere Entscheidungsfindung als Kollektiv leiteten. Die gesammelten Praktiken auf atmosphärischer Ebene wurden durch konservatorische Techniken der Aktivierung und Passivierung in Bezug auf die zeitliche Dynamik von lebenden und nicht lebenden materiellen Sammlungen unter bestimmten Umweltbedingungen konstituiert, um Wissen zugänglich zu machen. Dabei mäandern die Praktiken zwischen intendierten und nicht-intendierten Handlungen, um die Aktivität eines Exponats zu immobilisieren oder zu reaktivieren. Darüber hinaus durchliefen Techniken des kollektiven Webens räumliche Strukturen, die Fragen zu Geweben in verschiedenen Maßstäben verkörperten, von der mikrobiellen Ebene der Pilze bis hin zu räumlichen Architekturen, in die man hineinklettern kann – d. h. im Räumlichen. Auf der virtuellen Ebene bieten die Praktiken eine Menge, um das Analoge erneut in Frage zu stellen – um materielle Eigenschaften neu zu verhandeln. Ein kollektives materielles Miterleben wird durch neue semantische Operationen um neue Intimitäten und Annäherungen bereichert, etwa indem man der Feuchtigkeit eines feuchten Gewebes die Haptik eines magmatischen Steins verleiht oder greifbar trübe Archive liest.
Stretching Practices als Zugang zum »Ausstellen als Forschungsmethode«
Die Ausweitung des Fokus auf Designpraktiken als Techniken des Umgebens während der Ausstellungszeit von »Stretching Materialities. Hidden Activities in Objects and Spaces« eröffnet eine integrative Verbindung zwischen allen einzelnen Stationen. Mit dem Fokus auf atmosphärische Partizipation werden Besucher und Objekte als Atmende in ihren umweltlichen Bedingungen aktiv. Durch partizipatorische Modi des Machens und Spekulierens werden Staub und Rückstände im Ausstellungsraum mit der Zeit lebendig, können neu erlebt, aufgespürt, kartiert und mit-spekuliert werden. Wie können also neue Formen der atmosphärischen Partizipation in Gang gesetzt werden und das Bewusstsein dafür schärfen, wie wir unsere Umwelt unabsichtlich verändern? Und wie zielt der analytische Ansatz auf das Medium Luft auf Diskurse über sozio-ökologische und ökonomische Formen ab?
Im historischen Tieranatomischen Theater Berlin (TA T) wurden als erste Station luftgetragene Ablagerungen als ephemere Materialien in einem sogenannten »Metabolischen Archiv« kartiert. Um atmosphärische Taktilitäten jenseits des Konservierungsraums zu verstehen, setzten wir Staubansammlungen, metagenomische Daten, kohlenstoffbindende Materialitäten, Rückstände und Feuchtigkeitsgehalte von Dingen und dem Ausstellungsraum in neue Beziehung zum Verhalten der Besucher:innen.
Wir konnten im Laufe des Prozesses herausfinden, dass einige der untersuchten Luftpartikel transkontinentale Reisen unternommen haben oder auf anthropogene Eingriffe hinweisen, selbst im COVID-19 Lockdown.
In der Installation »Enveloping Incomputable Atmospheres« im Zentrum des Ausstellungsraumes, der Rotunde des TA T, bauen schwache kreisförmige Luftvorhänge eine feuchte Atmosphäre auf, die mit verschiedenen Körpern des Ausstellungsraumes verwoben ist.
Nach der Frage, was diese Wolke hier macht, kann eine 3-5m durchmessende warme, feuchte, sichtbare, staubige Luftschicht als eng mit der Anwesenheit, der Körperwärme oder den Bewegungen der Besucher und dem technischen Betrieb des Gebäudes selbst verbunden verstanden werden. Die sich bildende Wolke wird als Re-Inszenierung aller gesammelten Daten, Rückstände, des gefilterten Wassers des nahen Flusses und der für das Gebäude bereitgestellten Energie verstanden.
Eine weitere benachbarte Installation, die sich im Laufe der Monate des Ausstellungsprozesses entwickelt hat, ist »Imagining Suspended Care-riers«, die bestehende Erzählungen über die fortlaufende Detektivarbeit in der Mikrochemie der atmosphärischen Umwelt und deren Einfluss auf unsere anthropozentrische Sichtweise in Frage stellt. Hier könnten semiotische Materialien, Emotionen und Stimmen als ephemere Medien als ›heilende‹ Mittel verstanden werden, die eine Debatte über die Umgestaltung des Menschen in Gang setzen. Die Untersuchung von Daten und Erfahrungen in den Indoor-Clouds als nützliche Medien bringt auch neue Herausforderungen und Möglichkeiten für Forschung und Pädagogik mit sich. Co-Designing-Praktiken rund um das Fabulieren durch Sprache, Materialien, Rezepte, Event-Partituren und kurze Cliffhanger-Essay-Filme formten neue Perspektiven auf Bildung und Wissensvermittlung.
Diese drei beispielhaften partizipatorischen Stationen für die Wissensproduktion lassen unterschiedliche Zielgruppen - Kinder, Studenten, Pädagogen, Forscher, Kuratoren, Pflegekräfte und Politiker - tanzen, denken, debattieren, nachstellen und das staubige Archiv als experimentellen Lernort gestalten. Nicht zuletzt, da das Anatomische Theater selbst in Anlehnung an die Verbindung theatralischer und nicht-theatralischern Praktiken des Anatomischen Theaters, welchesdas direkt darunter demeinen Hörsaal und einen medizinischen Forschungsbereich beherbergt.
Unser virtuelles Museum – dem Luftleben folgen
Die VR-Ebene empathisiert die scheinbaren Leerräume zwischen Besuchern und Exponaten, auch zwischen dem Inneren und dem Äußeren des TA T bis hinauf in die Stratosphäre. Zentral für die Inszenierung des virtuellen Raums war die Sympathie mit alternativen Weltmodellen, in denen sich beispielsweise Mikroben in Wolken bewegen.
Durch die Erweiterung geht der Trend in der VR dahin, neue menschliche Erfahrungen als eine andere Spezies zu erforschen, etwa in der Luft, unter, in und über den Wolken. Inspiriert von den virtuellen Erfahrungen erstellen die Teilnehmer der Ausstellung Ereignisprotokolle, Protokollblätter und Notizen für andere Besucher, um bestimmte Bedingungen im Ausstellungsraum nachzustellen. Es bleiben Fragen offen, etwa wie Bakterien diese Ausstellung kuratieren und gestalten würden. (reference: museumsforclimateaction – Museum als Metabolismus, als Atmosphäre, Labor, Theater,...)
Ausblick – dem Vergänglichen etwas abgewinnen
In resultierenden Forschungserkenntnissen bilden sich neue Intimitäten im Umgang mit materiellen Codes, neue Formen der kritischen Analyse wissenschaftlicher Messungen und der Bildung neuer materieller Metaphern, einer Materialsemiotik. In einer partizipativen, fabulierenden Weise bleibt die Frage, wie sich das produzierte Wissen in Text, Raum und Zeitlichkeit durch mitspekulierende Akteure im Medium Design weiterentwickel(t)n lässt, dass uns im Anthropozän immer kritischer erscheint.
Neue experimentelle Lehr-und Forschungsformate im Ausstellungsraum werden weiter analysiert, z.B. Protokolle, Rezepte, Veranstaltungsergebnisse, klassifizierte metagenomische Daten während des COVID-19 Lockdowns. Es werden unter anderem Rituale aus wissenschaftlichen Datensammlungen im Ausstellungsprozess entstehen, die neue bio-logische und klimato-logische Verständnisse von Zirkularitäten darstellen. So wie die Träumerei die Wolken formt, sind die Wolken nicht dafür gemacht, zuverlässig in Form gebracht zu werden. Daher wird ein performatives Bedürfnis nach stetigem Neu-Justieren auch in Wissensarchiven unserer täglichen Forschungspraxis notwendig bleiben.
Mit Hilfe der Analyse unserer Ergebnisse aus dem forschenen Ausstellen möchten wir die Forschung in der gesamten Matters of Activity Gruppe so verändern, das zukünftige Wissensproduktionen zunehmend diversifiziert und hybride begehbar gemacht werden – nicht als Ausstellung repräsentativ abschließend, sondern vielmehr im Prozess selbst zum integrativen Erkenntnisteil von Erfahrungswissen werden.
Besonderer Dank für die Realisierung des atmosphärischen Partizipationsteils in Stretching Practices geht an Kurator Felix Sattler (TA T), Geo-Mikrobiologin und Aerobiologin Anna Gorbushina (BAM Berlin), Klimaforscherin Cornelia Auer (PIK Potsdam), Thomas Auer (TU München), Benjamin Maus (allesblinkt. com), Helen Galliker (https://www.helengalliker.ch), Skander Hathroubi und Regine Hengge (Mikrobiologie, HU Berlin), Michaela Eder (MPIKG), Astvaldur Thorrison und Felix Lenz (Research Fellows)