Virtual Sensing Knife and Haptic Hanbok
Maxime Le Calvé & Yoonha Kim
»Virtual Sensing Knife and Haptic Hanbok« lädt die Besucher:innen zu einer immersiven sensorischen Begegnung mit frei schwebenden Neuronen und Hirngeweben ›auf der Skala nach unten‹ ein. Diese Erfahrung wurde in Zusammenarbeit als eine der »Etagen« für den Hauptaufzug der Ausstellung gestaltet. Inspiriert von der Arbeit von Karen Barad, Stefan Helmreich, Lee Kiyeon und Chris Salter haben wir einen Klangkünstler und Forscher, einen Interaktionsdesigner, einen kreativen Programmierer und einen Bekleidungsingenieur an Bord geholt und uns auf ein originelles Forschungsprojekt eingelassen. Das multimodale Anthropologieprojekt entfaltete sich als ein Entstehungsprozess, der in verschiedenen visuellen und audiovisuellen Formen dokumentiert und gebloggt wurde. Zwischen uns entfachten vielfältige Gespräche über die Wahrnehmung von Mensch und Maschine, weiche haptische Wearables, Kraftfelder, Lebensenergie-Meridiane und den allgemeinen Prozess des Auslotens von Materie, um eine Beziehung zum ›Mehr-als-Menschlichen‹ herzustellen. Wir stellten uns wieederholt dieselben Schlüsselfragen: Welche Art von erfinderischem und iterativem ›Ausloten‹ brauchen die potenziellen Interaktionen zwischen Physik, Design und Neurochirurgie, um sich zu manifestieren? Können wir uns technische Aktivitäten jenseits der westlichen Perspektive im Kontext der modernen Wissenschaft vorstellen?
Die Ausstellung »Stretching Materialities« bot die Gelegenheit, neue Kooperationen zwischen Geisteswissenschaften, Design und Naturwissenschaften anzustoßen. Besonders fasziniert waren wir von dem Projekt der Makromolekularphysiker Mohammad Fardin Gholami und Prof. Jürgen P. Rabe rund um das experimentelle Gerät »Sensing Knife«. Das »Sensing Knife« zielt darauf ab, die Technologie des Rasterkraftmikroskops in ein neurochirurgisches Instrument umzuwandeln, ein Gerät, das ›wie die Hand der Chirurg:innen‹ fühlen könnte – auf der Ebene der einzelnen Zelle. Das AFM wurde 1986 erfunden, und die Technologie wird seither ständig weiterentwickelt. Zwei dieser Mikroskope waren in einer der Vitrinen ausgestellt. Das Gerät basiert auf einem austauschbaren Mikrokantilever, der häufig aus Siliziumdioxid besteht und wahrscheinlich eines der dünnsten, feinsten und empfindlichsten vom Menschen hergestellten Messgeräte ist. Es wird zum Abtasten von Objekten verwendet, die so winzig sind, dass sie mit sichtbarem Licht nicht gesehen werden können - weil die Wellenlängen des sichtbaren Lichts zu groß sind, um mit solchen Gebilden zu interagieren.
Wie ein blinder Mensch mit einem Stock erforschen Physiker:innen die Materie, die jenseits seines Wahrnehmungsbereichs liegt, wobei die Sinne durch Informationsinputs erweitert werden, die verschiedene Formen annehmen können - 2D- oder 3D-Visualisierungen. Ihre prothetischen kristallinen Finger, die die Materie im unteren Bereich der Skala wahrnehmen, werden manchmal als U-Boote dargestellt, die den Meeresboden erkunden.
Das Unternehmen MicroMotion, einer der Hersteller der Cantilever, hat das U-Boot als Schlüsselbild auf seinem Werbematerial verwendet, das mit den teuren Cantilever-Packungen verschickt wird. Eines dieser Plakate schmückte bei Maximes vorherigem Besuch die Wand des Labors, was uns zu unserer Installation inspirierte. Die Vorstellung des Eintauchens ›in die Tiefe›, erinnert an die Träume der Entdecker:innen des 19. Jahrhunderts und ihre taxonomischen Unternehmungen, die Entdeckung unbekannter Gebiete: »Man weiß nie, was man fangen kann«. Außerdem verweist er auf das Eintauchen des Experimentators in ein flüssiges Medium, das er durch sein sensorisches Eintauchen erfährt, indem er den Boden der Materie auslotet.