Digitisation of Indigenous Knowledge for Extended Reality and Cultural Heritage
Projekt Filtering bereitet DAAD Summer School für März 2023 an der University of Technology Sarawak in Malaysia vor
Geflochtene Lampenschirme aus natürlichen und künstlichen Materialien in der Ausstellung serumpun, Kuching, 2022, Foto: Christian Kassung. Copyright: Matters of Activity
Vom 2. bis 12. Dezember 2022 reisten MoA Principal Investigators Christian Kassung und Jürgen Sieck für das Projekt Filtering nach Sarawak, um direkt vor Ort eine Summer School vorzubereiten, die dort im März 2023 stattfinden wird. Bereits während des Umstiegs in Singapur erhielten wir vom DAAD die Förderzusage, so dass wir nicht nur kurze Hosen, sondern auch gute Nachrichten im Gepäck hatten.
Die Reise begann in Kuching, der Hauptstadt des malaysischen Bundesstaates Sarawak auf Borneo. Im dortigen Borneo Cultures Museum, dem zweitgrößten Museum Südostasiens, wurde glücklicherweise gerade die temporäre Ausstellung »Serumpun: Crafts Across Borders« als Teil des Programms »Cultural Assets and Vernacular Materials« gezeigt. In diesem Projekt der Glasgow School of Arts mit der Borneo Library wurde das Ineinandergreifen von Ökosystem, Handwerkspraktiken und Materialien am Beispiel indigener Communities aus Kalimantan, Sarawak und Sabah gezeigt. Besonders interessant im Clusterkontext waren Lampenschirme, die von der Designerin Rosemarie Wong mittels traditioneller Webtechniken aus Betong, Sarawak, gefertigt werden, aber alte und neue Materialien miteinander kombinieren. Aufgrund des ansteigenden Meeresspiegels ist davon auszugehen, dass viele natürliche Materialien zukünftig nicht mehr verfügbar sein werden. In der Verwebung unterschiedlicher Materialien können diese auf ihre Eigenschaften im Produktionsprozess, aber auch in neuen Verwendungskontexte getestet werden, bevor dieser Vergleich vielleicht nicht mehr möglich ist. Einen ähnlichen Weg geht auch Diana Rose mit Batik Linut, indem sie Sago für die Mustererzeugung für Batikstoffe verwendet, also ein natürliches Nahrungsmittel, und es damit den Communities ermöglicht, ein marktfähiges Produkt herzustellen.
Am 7.Dezember besuchten wir die World Fuzhou Heritage Gallery in Sibu. 1901 landeten die ersten gut 1.000 Chinesen aus der Provinz Fujian auf Borneo an, und 100 Jahre später findet sich ‘deren’ Geschichte auf Erinnerungstafeln am Eingang zur Gallery in Stein gemeißelt wieder. Die Tafeln erzählen eine eindeutige Geschichte, das Museum dagegen keine. Wir sehen in neusachlicher Bildsprache, wie sich die Siedler durch den Dschungel kämpften, »but their perseverance and hard work brought about prosperity and progress.« Die Bilder fokussieren auf die erfolgreiche Unterwerfung der Natur, nehmen aber mögliche andere koloniale Perspektiven nicht in den Blick. So weicht die Schlange dem Machetenhieb durch den Regenwald, während drei in ihrer Kleidung als ‘andere Ethnie’ erkennbare Personen ihre Waren verkaufen (können). Und während die Bomber des zweiten Weltkriegs im Tiefflug über der Stadt niedergehen, bringen Eltern ihre Kinder seelenruhig zur Schule oder spazieren mit auf dem Rücken verschränkten Armen die Straße entlang. Während wir es bei den Tafeln am Eingang zum Museum also mit einer Geschichte zu tun haben, kämpfen die gut 600 Objekte im Innenraum gegen ihre eigene Anonymität an. Gerade einmal knapp zehn Beschilderungen weisen auf konkrete Objektbiographien und damit auf mögliche Geschichten hin. Alle anderen Objekte versinken im Meer historischer Dinge, ohne irgendeinen Kontakt mit den Gründen herstellen zu können, um deren Willen sie ins Museum gelangen und dort verwahrt werden. So erweist sich die Fuzhou Gallery als im doppelten Sinne schwieriger Ort: Zum einen verwehrt sich das Äußere der Erinnerungstafeln eindeutig jeder Form von symmetrischer Geschichtsschreibung, zum anderen entbehrt das Innere jede Möglichkeit eines objektbiographischen Zugangs. Die Herausforderung eines ethnographisch angemessenen Zugangs ist hoch, zumal wenn man die aus europäischer Perspektive schwer einschätzbare Rezeption alternativer Geschichtsperspektiven bedenkt.
Die letzten beiden Tage galten Field Trips: am 8. Dezemeber zu den Bawang Assan Longhouses der Iban, am 9. Dezember nach Mukha in die Lamin Dana Melanau Heritage Lodge. Die neun Longhouses der Iban reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück, sind zugleich aber u.a. durch Inititativen der University of Technology Sarawak an das Mobilfunknetz angeschlossen. Das hat erheblichen Einfluss auf viele Bereiche der Gemeinschaft. So wird nicht mehr durch die Weitergabe von kleinen persönlichen Nachrichten zu gemeinsamen Arbeitseinsätzen oder Versammlungen eingeladen, sondern über eine WhatsApp Gruppe. Allen Häusern gemeinsam ist, dass sie vom steigenden Meeresspiegel akut bedroht sind. In der Monsunzeit müssen die Häuser teilweise mit Wagenhebern angehoben werden, was dank der Holzkonstruktion zwar möglich ist, die absolut prekäre Umweltsituation aber unmittelbar verdeutlicht. Da wir in Begleitung eines Mitglieds der Community unterwegs waren, konnten wir an einem Abendessen in der Familie teilnehmen. Der Generationenwechsel zwischen den vor Ort lebenden Eltern und den tagsüber in Sibu studierenden oder arbeitenden Kindern war spürbar aber nicht störend. In einer wichtigen Hinsicht sind die Iban Selbstversorger: In jedem Haus wird in an Amphoren erinnernden Tongefäßen Reiswein für den täglichen Gebrauch hergestellt. Aufgrund der Umweltbedingungen kann der lokale Reis nur noch bedingt verwendet werden, was aber die Weinherstellung als Alltagspraxis zumindest bislang noch nicht hat obsolet werden lassen.
Im Gegensatz zu den älteren Longhauses der Iban wurde in Kampung Tellian die Lamin Dana Lodge neu aufgebaut, allerdings mit traditionellen Handwerkstechniken und lokalen Materialien. Die Lodge ist mit seiner Verbindung zu Diana Rose auch ein Kulturzentrum für die sagobasierte Färbetechnik Batik Linut. So stand Linut, das mit Sambal gegessen wird, auf dem Tisch und reduziert zugleich den Einsatz von Chemikalien in der Textilherstellung. Besonders eindrücklich aber war der Besuch des »Dorfmuseums«. In der »kleinen Insel« lässt sich aus den Artefakten einer einzelnen Familie die gesamte Kultur der Melenau ableiten, inklusive über das europäische Verständnis extrem schwer nachvollziehbare Körperpraktiken wie die Stirnplattierung von neugeborenen Mädchen. Ebenfalls für Europäer nahezu unverständlich war die kulturelle Praxis der Kopfjagd. Trotz des Verbots Mitte des 19. Jahrhundert kann diese noch in den 1970er Jahren bei einigen indigenen Bevölkerungsgruppen nachgewiesen werden. Im Familienmuseum sind Artefakte dieser Praxis vorhanden, zum Beispiel Aufbewahrungsgefäße, geschnitzte Figuren mit Trophäen am Gürtel, aber auch Trophäen im Community Bereich der Longhauses.
Kurz vor der Abreise hatten wir noch das große Glück, die Managerin von »Think and Tink«, Wendy Teo, zu treffen. Das freie Kulturzentrum in Kuching führte 2022 unter anderem den Workshop »B-Lab | Betterment Lab« durch. Die dort bearbeiteten Fragen und Problemen sind eng mit den Zielen des Clusters verwandt. In der Kooperation von Communities, Universitäten und Industrie geht es darum, neue Designstrategien im Ineinandergreifen von Materialien und Strukturen zu entwickeln. Auch mit neuen Materialien sowie neuen und traditionellen Gestaltungstechniken wird experimentiert, um innovative Gegenstände zu entwickeln. Eindrucksvoll war, wie ohne staatliche Förderung eine interdisziplinäre Zusammenarbeit organisiert wird und neben einer Galerie Büros, Werkstätten und Kommunikationsräume betrieben werden.
Der Besuch von Sarawak, die zahlreichen Gespräche und neuen Erfahrungen haben uns gut auf die Summer School »Digitalisation of Indigenous Knowledge for Extended Reality and Cultural Heritage« vorbereitet. Neben der Vorstellung des Studien- und Forschungsstandortes Deutschland werden wir mehrere gemeinsame Projekte entwickeln. Zur Auswahl stehen aktuell sechs Themen:
- MR & VR for the old Borneo Culture Museum,
- Weaving & Contemporary Art,
- New Material & Innovations,
- Food & Culture,
- Buah Pecah Pisau (Warrier Techniques) and
- Borneo Culture & Shamans.
Der Besuch der University of Technology Sarawak im Dezember 2022 und die Durchführung der DAAD Summer School im März 2023 sind nur der Auftakt einer kontinuierlichen Zusammenarbeit. Geplant sind weitere Aktivitäten wie gemeinsame wissenschaftliche Veranstaltungen, z.B. die Konferenzen InHERIT in Sibu und Culture and Computer Science Lissabon sowie der Dozenten- und Studenten-Austausch im Rahmen weiterer DAAD Projekte.